Ich erinnere mich eines Morgens, an dem ich auf einem Baume eine Schmetterlingspuppe entdeckt hatte. Der Schmetterling hatte gerade die Hülle gesprengt und schickte sich an, auszuschlüpfen. Ich wartete lang, ungeduldig, denn ich hatte es eilig. Ich hauchte den Schmitterling an, und das Wunder begann sich vor meinen Augen in einem rascheren Ablauf als natürlich zu entfalten: Die Hülle öffnete sich ganz, der Schmetterling kroch heraus. Aber nie werde ich mein Entsetzen vergessen; seine Flügel ware noch gekrümmt und zerknittert. Der kleine Körper zitterte und versuchte sie zu spannen, aber es war unmöglich. Auch ich versuchte, ihm mit meinem Atem zu helfen, doch umsonst. Ein allmähliches Reifen war nötig, die Flügel hätten sich langsam in der Sonne entfalten müssen, jetzt war es zu spät. Mein Atem hatte den Schmetterling gezwungen, zu früh auszukriechen, ein Siebenmonatskind. Er zappelte verzweifelt und starb nach einigen Sekunden auf meiner flachen Hand.
Diese kleine Leiche, glaube ich, ist die schwerste Last, die mein Gewissen bedrückt. Heute begreife ich erst richtig, dass es eine Todsünde ist, die ewigen Gesetze zu vergewaltigen. Wir haben die Pflicht, uns nicht zu beeilen, nicht ungeduldig zu werden und dem ewigen Rythmus der Natur mit Vertrauen zu folgen:
Ich setze mich auf einen Stein, um mich in aller Ruhe mit diesem Neujahrsgedanken vertraut zu machen. Ach! sagte ich mir, käme doch mein Leben im neuen Jahre ohne diese hysterische Ungeduld aus! Könnte doch dieser kleine Schmetterling, den ich in meiner Eile und Ungeduld umbrachte, immer vor mir herflattern, um mir den richtigen Weg zu zeigen!
Aus: „Sorbas“ von Niko Kazantzakis
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