Vom Loslassen

Wo von Lebenserfolg die Rede ist, rät man oft in überzeugender Weise zum Ergreifen, Zupacken und Festhalten. Wie so manches, ist auch dieser Ratschlag eine typische Halbwahrheit. Ablösen, loslassen und freigeben wäre die andere Seite.
Wenn der Sämann die Saat nicht aus der Hand gibt und diese nicht loslässt, wird sie niemals in der Erde keimen, um Frucht zu tragen.

Auch unsere Wunsch- und Erfolgsgedanken sollten wir loslassen, indem wir sie dem Unbewussten anvertrauen und dann zuversichtlich darauf warten, dass sie sich verwirklichen. Erfüllt sich unsere Erwartung aber nicht, dann lassen wir sie am besten los und trauern wir nicht unerfüllbaren Wunschvorstellungen nach.

Der Philosoph Erich Fromm versteht unter diesem Loslassen, dass man seine Habgier abstreift, nicht unablässig der Erhaltung und Mehrung des Ichs nachjagt, dass man ist, und sich selbst im Sein und nicht nur im Haben, Begehren, Benützen erlebt.

Von der Überwindung der Zeit

Im Menschen scheint es eine Sehnsucht nach der Überwindung der Zeit zu geben. Die Zeit ist aber keine endlos weitergehende Linie. Wäre es nicht entsetzlich, wenn die Zeit so etwas wie ein endloser Faden wäre, den wir nur abwickeln würden, wie einen Wollknäuel?

Wie oft passiert, dass uns unverhofft eine Stunde Zeit geschenkt wird? Oder wir haben wieder einmal den Eindruck, dass die Zeit einfach stehen geblieben ist.

Vielleicht wird Zeit ja irgendwo gesammelt und verwahrt, gut aufgehoben und gerettet?

Keine für uns wichtige Zeit geht einfach so vorüber. Sie hinterlässt Zeichen. Wenn etwas auf Sie zukommt, lassen Sie es kommen, versuchen Sie es zu leben, lassen Sie es weiterfließen, weil es nicht völlig verloren gehen kann.

Wert und Nutzen

Ein Zimmermann und sein Lehrling gehen miteinander durch einen großen Wald. Als sie auf einmal auf einen riesigen, knorrigen, alten, wunderschönen Eichbaum stoßen, fragt der Zimmermann seinen Lehrling: Weißt du, weshalb dieser Baum so groß, so riesig, so knorrig, so alt und wunderschön geworden ist? Der Junge schaut seinen Meister an, findet aber keine gültige Antwort: Weshalb denn? fragt er gespannt.
Deshalb, sagte der Zimmermann, weil er nutzlos ist. Wäre er brauchbar gewesen, hätte
man ihn längst gefällt und zu Tischen und Stühlen verarbeitet. Aber weil er unbrauchbar ist, konnte er so groß und wunderschön werden, dass man sich nun in seinen Schatten
setzen und sich unter ihm erholen kann.

Die kleine Tao-Geschichte hat mit Wert und Nutzen zu tun. Muss denn alles in unserem Leben Nutzen bringen? Gibt es nicht Werte, die unser Leben bereichern können, ohne materiellen Gewinn abzuwerfen?

Unternehmen Sie täglich einen stündigen Spaziergang über Land oder im Wald. Hören Sie auf Ihren Atem, wie er die Lungen in regelmäßigem Rhythmus mit Sauerstoff füllt. Achten Sie auf den Schritt. Bewundern Sie die Steine und Blumen am Weg. Bleiben Sie ab und zu stehen, atmen Sie tief durch und schauen Sie durch die Baumkronen in den Himmel: Wie kunstvoll ziehen die Wolken dahin, wie leicht streicht der Wind durch die Zweige.

Wer die Welt auf diese Weise betrachtet, entdeckt neue Wege, sieht das Leben aus einer anderen Perspektive. Gesund sein, froh und frei durch die Gegend ziehen, sich spüren können und seine Gedanken in die Ferne schweifen lassen, einfach da sein und sich am Leben freuen das sind Werte, die man nirgends kaufen kann.